Angeregt durch einen Tweet von @radirrwege habe ich mir die bislang gesammelten Todesfälle im Zuge von Schienenquerungen näher angesehen. Die im folgenden besprochenen Daten finden sich als bearbeiteter Auszug aus der Gesamtliste in einer gesonderten Excel-Tabelle.
Allgemeine Daten
Bis heute (27.8.2019) sind in der Datenbank 98 Fälle gesammelt, bei denen ein Radfahrer durch die Kollision mit einer Eisen- oder Straßenbahn tödlich verwundet wurde. Somit kommen durchschnittlich ~5 % der im Straßenverkehr bei Unfällen mit Fremdbeteiligung getöteten Radfahrer durch einen Zusammenstoß mit dem Schienenverkehr ums Leben. Gut 2/3 davon betreffen Eisenbahnen, der Rest Straßenbahnen. Die Straßenbahnunfälle passierten naturgemäß ausschließlich innerorts, während unter den Eisenbahnfällen immerhin 21 vertreten sind, wo der Unfallort außerhalb von bebauten Gebieten lag.
Wie bei Kollisionsunfällen (mit Ausnahme der Rechtsabbieger) üblich, sind mehrheitlich Männer vom Tod am Bahnübergang betroffen (79:19). Das Durchschnittsalter der Getöteten liegt mit 52,6 Jahren deutlich unter dem Mittel aller gesammelten Opfer (61,3), was u.a. daran liegt, dass der Anteil Minderjähriger hier mit 14,3% dreimal so groß ist, wie im übrigen Kollektiv der Unfallhergänge. Unter Kindern und Jugendlichen ist der Tod am Bahnübergang mit einem Anteil von insgesamt 11,3% an den Kollisionen mit Fremdbeteiligung damit eine signifikante Einzelursache. Insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften übersteigt das Risiko für einen Todesfall bei einer Schienenquerung die Wahrscheinlichkeit für ein solches Unglück durch Rammen oder Streifen mit einem unachtsam überholenden PKW um das Zehnfache.
Technisches Versagen bei der Signalisierung oder der Schrankenmechanik wurde in keinem Fall festgestellt. In Einzelfällen ließ die Berichterstattung zunächst offen, ob die Schienenbahn oder das Fahrrad ggf. „freie Fahrt“ signalisiert bekam. Grundsätzlich muss aber die Unfallschuld ausnahmslos auf Seiten der Radfahrer vermutet werden. In zwei Fällen wurden Radfahrer außerhalb von offiziellen Gleisquerungen getötet, weil sie vermutlich im oder dicht neben dem Gleisbett entlang der Schienen unterwegs waren.
Welche Arten Sicherungen gibt es überhaupt?
Ich habe zwischen 5 verschiedenen Formen der Sicherung von Bahnübergängen unterschieden und ausgezählt:
- durchgehende Schranken
- Halbschranken
- signalgesicherte Querungen
- Drängelgitter
- Andreaskreuz und gänzlich freie Querungen
Die beiden Schrankentypen finden offenbar ausschließlich bei der Sicherung von Eisenbahnübergängen Verwendung, wobei die Halbschranke mit 33 zu 7 gegenüber der durchgehenden Sperre überwiegt. Halbschranken werden wohl bevorzugt, weil diese Form den beste Kompromiss aus Fehlervermeidung und Fehlertoleranz zu bieten scheint. Die Halbschranke lädt zwar einerseits zum Umgehen bzw Umfahren des Schrankenbalkens ein, sorgt aber andererseits wohl für größere Anhaltedisziplin als nur eine rote Ampel. Sie bietet dabei aber gleichzeitig Fahrzeugführern, die sich über das Haltsignal bei schließender Schranke hinweggesetzt haben, noch ein Schlupfloch zum Entkommen auf der anderen Schienenseite. Schranken werden häufiger als lediglich signalisierte oder ungesicherte Übergänge von schiebenden Radfahrern umgangen (10 von 40).
Den nächstgrößeren Posten an betroffenen Führungsformen stellen ampelgesicherte Übergänge dar (24, davon 7 Eisenbahn, 17 Straßenbahn), die bis auf 3 Ausnahmen allesamt innerhalb geschlossener Ortschaften liegen.
In insgesamt 18 Fällen war der Unfallort dem Text bzw. eingebetteten Fotos in den Pressemeldungen nach zu schließen an Stellen, die weder durch Schranken, Ampeln oder Drängelgitter (s.u.) abgesichert waren. Bei den 10 Eisenbahnquerungen scheint es sich um verkehrsarme Nebenstrecken der Bahn zu handeln, bei denen gleichzeitig die Querung von einem (Rad-)Weg ohne öffentlichen KFZ-Verkehr erfolgte. Die 8 Straßenbahnquerungen lagen ebenfalls außerhalb von Knotenpunkten des KFZ-Verkehrs.
Problem Drängelgitter?
Drängelgitter-gesicherte Querungen stellen mit 13 ausnahmslos innerörtlichen Schienenquerungsunfällen lediglich knapp 1/7 aller Unfälle diesen Typs. Da sie ausnahmslos innerorts Verwendung finden, beträgt der Anteil an den 77 innerörtlichen Querungsunfällen allerdings mit 16,9% gut 1/6.
In zwei der Fälle gab es zusätzlich eine sichernde Signalisierung (gelbes Blinklicht bzw. Rot). Ich glaube allerdings nicht, dass Drängelgitter 1/6 aller niveaugleichen innerörtlichen Knotenpunkte von Straßen mit dem Schienenverkehr ausmachen. Im Gegenteil, es spricht Vieles dafür, dass Drängelgitter das Unfallrisiko im Vergleich zur Sicherung durch Schranken oder Lichtzeichen dramatisch erhöhen. Ganz offensichtlich lenkt die koordinative Herausforderung des Durchschlängelns die radfahrenden Passanten von der Beachtung des herannahenden Zugverkehrs stärker ab, als dies bei offeneren Führungsformen der Fall ist. Ob dies eine Spezialität des mitgeführten Zweirades ist, oder ob Drängelgitter diesen Effekt auch auf Fußgänger ausüben, vermag ich natürlich nicht zu sagen. Dass die Ablenkung wohl auch mit der eingeschränkten kognitiven Kapazität älterer Menschen zu tun hat, kann man aus dem Umstand ablesen, dass die Opfer von Kollisionen an Drängelgittern einen um 5 Jahre höheren Altersdurchschnitt besitzen als das unterdurchschnittlich junge Kollektiv der radelnden Bahn-Opfer.
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