Unfallsteckkarte Fahrrad-Tote Niederlande (2008-2017)

Über das Verkehrsunfallgeschehen in den Niederlanden gibt es eine dem deutschen „Unfallatlas“-Projekt entsprechende Webseite. Die Daten der Seite des STAR-Projekts reichen immerhin bis 2014 zurück (Unfallatlas: erste Bundesländer ab 2016, vollständige Abdeckung erst für 2019 erwartet) und teilen mit ihren deutschen Verwandten die ausgesprochen mangelhafte Filterbarkeit, was sie für eine weitergehende Analyse des Unfallgeschehens komplett unbrauchbar macht. So ist es z.B. unmöglich, die angezeigten Unfallpunkte auf Fälle mit Fahrradbeteiligung zu limitieren. Ebenso lassen sich auch die Unfallfolgen nicht einengen, wodurch das Bild von der enormen Fülle der leichteren KFZ-Kollisionen mit nur Blechschaden förmlich erschlagen wird.

In den letzten Tagen bin ich auf die zum freien Download angebotenen Rohdaten der niederländischen Verkehrsunfalldatenbank gestoßen. Die enthaltenen Einträge entstammen wie die STAR-Daten der BRON Verkehrsunfall-Datenbank des niederländischen Ministeriums für Infrastruktur und Wasserwirtschaft (IenW)  und betreffen den Zeitraum von 2008 bis 2017.

Hier geht es direkt zur Steckkarte

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Was ist enthalten?

Die BRON-Datenbank umfasst die vorläufigen, am Unfallort durch die Polizei registrierten und georeferenzierten Angaben zu Unfallgegnern, beteiligten Fahrzeugen, Hergängen, Unfallfolgen, Ortslage, Straßenkategorie, Provinz, Stadt und Umständen. Das heruntergeladene Archiv lässt sich aus dem Stand mit einer entsprechenden GIS-Software öffnen und anzeigen. Ohne weitere Filterung erhält man ein Bild, das im Wesentlichen der eingangs erwähnten Online-Version der Daten gleicht.

Was ist nicht enthalten?

Die BRON-Datenbank beinhaltet wie bereits erwähnt die Daten der Unfallaufnahme durch die Verkehrspolizei. Die Einträge werden als „vorläufig“ bezeichnet, was wohl bedeutet, dass weder gutachterliche oder gerichtliche Stellungnahmen zur Unfallschuld Eingang finden, noch dass die Polizei das weitere Schicksal der schwer verletzten Unfallbeteiligten nachverfolgt. Da das Kriterium für den Verkehrstod international einheitlich auf einen Zeitraum von 30 Tagen nach dem Unfall festgelegt ist, kann so eine nicht unbeträchtliche Anzahl in dieser Spanne im Krankenhaus Verstorbener der Polizeierfassung entgehen. Die Abweichung zwischen den aus BRON gewonnenen Verkehrsopferzahlen und den seitens des CBS unter Abgleich mit den Krankenhausdaten erzeugten Jahresstatistiken beträgt bei allen Verkehrstoten insgesamt ca. 10-15%. Für Radfahrer liegt die Diskrepanz deutlich höher, da hier offensichtlich ein besonders großer Anteil an Opfern von schweren Alleinunfällen ohne Beiziehung der Verkehrspolizei direkt ins Krankenhaus eingeliefert wird.

Jahr CBS BRON Erfassungsquote [%]
2008 181 143 79,0
2009 185 139 75,1
2010 162 119 73,5
2011 200 147 73,5
2012 200 149 74,5
2013 184 126 68,5
2014 185 140 75,7
2015 185 127 68,6
2016 180 123 68,3
2017 206 127 61,7
Summe 1868 1340 71,7

Nach dem Filtern auf [(Fiets v E-Bike)+(dodelijk)] weist die Datei noch 1340 Einträge für Todesfälle mit Fahrrad- bzw. Pedelec-Beteiligung für die betrachteten 10 Jahre aus. Dies entspricht einer Quote von ca. 72% im Vergleich zu den Angaben des CBS. Genau wie die deutschen Unfallatlas-Daten enthalten die BRON-Files allerdings keine Angaben darüber, welche Partei bei einem Unfall gestorben ist. Bei Unfällen mit mehrspurigen KFZ wird dies zwar kein Problem darstellen, da man mit sehr großer Sicherheit darauf vertrauen darf, dass es sich bei der getöteten Person um den beteiligten Radfahrer gehandelt hat. Anders liegt der Fall jedoch bei  Zusammenstößen mit Fußgängern und Krafträdern, wo die Kollision durchaus zum größeren Nachteil des Nichtradfahrers ausgehen kann. Hierdurch dürfte die o.g. BRON/CBS-Quote noch etwas auf knapp unter 70% sinken.

Welche quantitativen und qualitativen Aussagen lassen die Rohdaten zu?

Der Übersichtlichkeit halber habe ich für die Auswertung die LKW-Unfälle, die in den Rohdaten tiefer in Schwer-LKW („Vrachtwagen“) und Liefer-LKW („Bestelbus“) untergliedert werden, zusammengefasst. Ebenso enthält die Kategorie „Motorrad“ alle motorisierten Zweiräder („Snorfiets“, „Bromfiets“, „Motor“) zusammengefasst. Obwohl die Rohdaten (anders als die deutschen OpenData-Files) die Verkehrsart des Hauptschuldigen/1.Beteiligten konkret aufführen, habe ich bewusst auf die Beibehaltung dieses Parameters verzichtet. Dessen Kenntnis taugt zu meiner Überzeugung lediglich für das geschickte Ausspielen der Verkehrsteilnehmer gegeneinander („Teile und Herrsche“), was letztlich nur von der Betrachtung der eigentlich straßenbaulich bedingten Unfallursachen unnötig ablenkt.

Bei den Angaben zu Unfallhergängen gibt es offenbar im Detail stärkere Abweichungen zwischen den deutschen und niederländischen Kriterien. Für die vorliegende Karte habe ich alle als „Flank“ bezeichneten Unfälle in die Rubrik „VF“ umgesetzt. Hierunter dürften insbesondere Vorfahrtfehler, Fehler beim Fahrbahnqueren und Abbiegefehler fallen. Diese Kategorie dominiert das Geschehen. Die Fälle, die im Original mit „koop/stert“ bezeichnet waren, habe ich als „Ü(berholen)“ übersetzt. Aufgrund der relativ hohen Anzahl dieser Unfälle und der umfangreichen Ausstattung der NL-Straßen mit Radwegen dürfte es sich hierbei wohl nicht nur um klassische Ramm-/Streifunfälle im Mischverkehr auf der Fahrbahn handeln.

Typ Anzahl Quote [% von allen]
Überholen 74 5,5
Vorfahrt 752 56,1
frontal 137 10,2
andere 134 10,0
Bahnübergang 28 2,1
solo 123 9,2
unklar 92 6,9

Die 1340 Einträge verteilen sich auf die verschiedenen Unfallgegner wie folgt:

Gegner Anzahl Anteil [% der Summe]
PKW 621 46,3
LKW 253 18,9
solo 122 9,1
Sattelschlepper („Trekker“) 91 6,8
Fahrrad/Pedelec 75 5,6
Motorrad 69* 5,1
Bus 35 2,6
sonstige 30 2,2
Schienenverkehr 28 2,1
Fußgänger 15* 1,1
unbekannt 1 0,1
Summe 1340

*) enthält eine signifikante unbekannte Anzahl verstorbener nicht-radelnder Unfallgegner

Auffällig ist in der obigen Tabelle die für deutsche Verhältnisse große Zahl an Todesfällen mit Krafträdern bei gleichzeitig außergewöhnlich geringem Anteil an Todesfällen durch Alleinstürze.

Die relativ hohe Anzahl an Todesfällen durch Kollisionen zwischen Fahrrädern und Krafträdern dürfte wohl damit zu tun haben, dass Mofas/Snorfiets obligatorisch, und 45km/h-Kleinkraftäder/Bromfiets immerhin auf zahlreichen im Einzelfall angeordneten Strecken in den NL Radwege benutzen müssen.

Im Mittel weniger als 8 Alleintote Radler p.a. sind für ein 17-Millionen-Volk, das eine so hohe Radfahrleistung aufweist wie die Niederlande vollkommen unplausibel. Zum Vergleich: Deutschland hat bei fünffacher Einwohnerzahl mit einer bei gut der Hälfte der NL liegenden Pro-Kopf-Fahrleistung jedes Jahr zwischen 100 und 120 Opfer von Alleinstürzen. Umgerechnet auf die niederländischen Verhältnisse wäre somit ein Wert von ca. 40-50 Alleintoten zu erwarten gewesen. Hier kommt die weiter oben erwähnte Erfassungslücke bei Fahrradtodesfällen durch die NL-Polizei sehr deutlich zum Ausdruck.

Eine Ausdehnung der Auswertung auf Unfälle mit lediglich Verletzten ist in mehrerlei Hinsicht wenig praktikabel: erstens dürfte die bereits bei Todesfällen signifikante Erfassungslücke bei Unfällen mit Verletzten weiter stark anwachsen. Zweitens überfordert die dennoch sprunghaft steigende Anzahl der darzustellenden Objekte die Kapazität des von mir genutzten freien Kontingents auf dem QGIS-Cloud-Server. Drittens sind Verkehrstote die entscheidende „Währung“ im internationalen Schwanzvergleich für die Verkehrssicherheit. Und viertens unterscheiden die NL-Rohdaten, anders als der deutsche Bestand, auch leider nicht zwischen Ereignissen mit schwer- oder leichtverletzten Beteiligten, so dass sich leider auch nicht die Möglichkeit bietet, die zu ladende Dateigröße auf ein gerade noch handhabbares Level zu begrenzen.

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