Lyon, das neue Tempo 30-Wunder?

Ende März 2023 ging die Stadtverwaltung von Lyon stolz an die Öffentlichkeit und verwies auf einen 39%igen Rückgang der schweren Unfälle sowie einen 35%igen Rückgang der Verkehrsunfälle insgesamt beim Vergleich 2023 mit 2019, der vermeintlich durch die Einführung von Tempo 30 in weiten Teilen des Stadtgebiets ab März 2022 bewirkt worden sei. Diese Errungenschaft wurde umgehend von deutschen Medien und Verkehrswende-NGOs mit dem vorwurfsvollen Tenor „Warum kann Frankreich das, und wir in Deutschland kriegen mal wieder nix auf die Kette!?“ aufgegriffen. Wenn Korrelation unhinterfagt für Kausalität genommen werden darf, sobald die Ergebnisse nur die gewünschte Richtung zeigen, dann muss allerdings die Entschleunigung in Lyon wohl auch in Deutschland die Entwicklung genau so günstig beeinflusst haben:

lyon

Es bleibt ein Geheimnis des Bürgermeisters von Lyon, warum er hinsichtlich der Unfallentwicklung insgesamt in 2023 mit 2019 das unfallstärkste Jahr der letzten anderthalb Dekaden als Referenz wählt, aber beim Radverkehr lediglich das Jahr 2022 als Bezug präsentiert, wo erstens die Differenz zu 2023 mit minus 18% nur halb so groß ausfällt wie der eingangs angeführte vermeintliche T30-Erfolg allgemein, zweitens schon 9 Monate lang Tempo 30 galten und drittens das schwächere Abschneiden wiederum mit dem 56%igen Anstieg des Radverkehrs seit 2019 relativiert wird. Diese Volte muss um so mehr überraschen als man erwarten darf, dass sich ein Erfolg der Entschleunigung vorrangig durch spezifische Rückgänge bei den verletzten ungeschützten Verkehrsteilnehmern erweisen muss, da Insassen von Autos auch schon bei Tempo 50 durch Knautschzone, Gurt und Airbag bestens gegen Verletzungen geschützt sind. So sehen Kampaigning-Nebelkerzen aus, die verschleiern sollen, dass da in Wahrheit wohl ein statistischer Ausreißer als kausaler Effekt verkauft wird.

Man wird abwarten müssen, bis die nationale Verkehrsbehörde ONISR für das Département Rhone die endgültigen Zahlen für Lyon präsentiert. Bislang hat sich aber noch jede Jubelmeldung über dramatische Effekte von Tempo-30 als Ausreißer entpuppt, egal ob in Brüssel (2021), Helsinki (2019), Oslo (2019) oder Grenoble (2016).

2 Gedanken zu „Lyon, das neue Tempo 30-Wunder?

  1. DS

    Das liegt halt auch daran, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Radfahrer gar keinen Unfallgegner benötigt, um sich ins Jenseits zu befördern. Außerorts sind die „Selbstmord-Radfahrer“ sogar in der Mehrheit.

    All jene „Vision-Zero“-Apologeten (die ich ideologisch nicht weit entfernt von den No- und Zero-Covid-Sekten sehe) sollten sich vergegenwärtigen, dass es, solange das Radfahren nicht verboten wird, niemals Null Unfalltote geben kann, wird – und darf. Ansonsten wird sich die Politik in absehbarer Zeit bspw. auch wieder dem „Helm“-Thema widmen, um die Radfahrer vor ihrer eigenen Unvernunft zu „schützen“. Die Unrechtsprechung hat dbzgl. ja auch schon gewisse Teilerfolge zu vermelden.

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  2. TheK

    Ohnehin scheinen die französischen Städte gerade das zu entdecken, was in deutschen und niederländischen Städten großteils schon seit Jahrzehnten gilt: 50 auf Hauptstraßen, 30 in Wohngebieten. Und 30% weniger Verkehrstote in Frankreich würde gerade einmal das Einstellen deutscher Verhältnisse bedeuten – denn die französischen Straßen gehören zu den gefährlichsten Westeuropas.

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