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Über radunfaelle

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Risiko von Radfahrern an deutschen Kreisverkehren

Einleitung

Die Anlage von Kreisverkehren (KV) gilt in der Verkehrstechnik gewissermaßen als „eierlegende Wollmilchsau“. Sie bieten wegen des Entfalls möglicher Konfliktpunkte (v.a. beim Linksabbiegen) und der baulich erzwungenen geringen KFZ-Geschwindigkeiten eine gute Verkehrssicherheit bei gleichzeitig befriedigender Leistungsfähigkeit. In Abhängigkeit vom Durchmesser des Kreisverkehrs unterscheidet man in der Verkehrstechnik zwischen Minikreisel mit überfahrbarer Mittelinsel, kleinen KV mit baulichem Innenring und großen KV, deren enormer Durchmesser die Knotenpunkte von Kreisbahn und zuführenden Nebenstraßen quasi schon zu eigenständigen Einmündungen macht. Abgesehen von großen KV mit einem besonders hohen Verkehrsaufkommen, welches eine 2-spurige Führung im Kreisel erforderlich macht, kann normalerweise auf die Einrichtung von teuren und wartungsaufwändigen Lichtsignalanlagen an KV verzichtet werden.

Die Vorteile der Verkehrsführung für den KFZ-Verkehr bedingen allerdings bei der Verflechtung mit dem Fußverkehr und mit separat geführtem Radverkehr eine Reihe von spezifischen Problemen. Das für Radverkehrsführungen maßgebliche technische Regelwerke „ERA 2010“ lässt in Abhängigkeit von KFZ-Stärke und Kreisdurchmesser entweder Mischverkehr auf der Fahrbahn oder die Führung auf baulich von der Fahrbahn getrennten Radwegen zu. Schutz- und Radfahrstreifen auf der Kreisfahrbahn sind nicht vorgesehen.

Was sagt die Literatur?

Grundsätzlich scheinen KV für den Radverkehr ebenso wie für den allgemeinen Fahrzeugverkehr im Hinblick auf die Verkehrssicherheit positive Auswirkungen zu haben, wenngleich die Effekte nicht so überzeugend ausfallen wie bei KFZ oder dem Fußverkehr. Dabei scheint der Entzug des aus §9 StVO resultierenden Vorranges gegenüber Fahrzeugen, die aus dem KV ausfahren, bei KV mit Radwegen einen günstigen Effekt auf die Radsicherheit auszuüben. Dieser Einfluss ist zwar auch aus Untersuchungen in den Niederlanden bekannt, er wird dort jedoch zugunsten des erwünschten Radverkehrsflusses regelmäßig bewusst ignoriert.

Die UDV hat eine umfassende Analyse des Unfallgeschehens an innerörtlichen KV publiziert, bei der auch das Risiko für den Radverkehr detailliert erfasst wurde. Insgesamt haben innerörtliche KV demnach eine gute Sicherheitsbilanz. Der Schweregrad der ausgewerteten Unfälle war überwiegend nur „leicht“ bzw. „nur mit Sachschaden“.KV_UDV2

Allerdings liegt der Anteil (!) an Unfällen mit Fahrradbeteiligung an KV deutlich über der Quote an konventionellen Kreuzungen, was jedoch wegen des Umstandes, dass an KV generell weniger Personenschäden auftreten als an konventionellen Kreuzungen keine negative Auswirkung auf die Absolutzahl der Radunfälle zu haben scheint. Radfahrer profitieren bei der Sicherheit nur nicht genau so stark von KV wie KFZ-Führer.

Die genauere Analyse der Unfalltypen ergab, dass Fahrradunfälle in KV im Wesentlichen auf Vorfahrtfehler gegenüber dem Kreiselverkehr beim Einfahren in den KV (Typ 303) und auf Auffahrunfälle zweier nachrangiger Fahrzeuge beim Einfahren in die Kreisfahrbahn (Typ 621) zurückzuführen waren. Unfälle zwischen KFZ und Rad auf Radwegen (340er-Typen) stellen mit zusammengenommen rund 1/3 der 303er-Unfälle nur einen relativ kleinen Anteil der beobachteten Radunfälle. Das dürfte allerdings daran liegen, dass die UDV sich bei ihrer Analyse auf „kleine“ Kreisverkehre beschränkt hat, die nur selten in Hauptstraßen angewendet werden, bei denen die Verkehrsplanung Radwege für notwendig erachtet. Für diese Interpretation spricht auch, dass bei den insgesamt nur sehr wenigen festgestellten Rechtsabbieger-Unfällen der Unfalltyp 232 (Rad auf gleicher Fahrbahn) gegenüber Typ 243 (Rad auf Radweg) deutlich überwiegt. Auffahrunfälle auf der Kreisfahrbahn (Unfalltyp 601) scheinen in kleinen KV dennoch keine bedeutende Rolle zu spielen.

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Niederlande als Vorbild?

Aus den Niederlanden gibt es seitens des SWOV zwei Analysen [1, 2], die die grundsätzlichen Vorteile von KV gegenüber konventionellen Kreuzungen auch für den Radverkehr belegen. Im Zuge der „Go Dutch“-Agitation wird seitens der Verkehrswende-Szene gefordert, man möge sich bei der baulichen Gestaltung von Radverkehrsanlagen am Vorbild der Niederlande orientieren, dann würden die Deutschen quasi automatisch zu fleißigen Radfahrern. Ebenso, wie „Holländische Schutzkreuzungen“ mittlerweile auch vom ADFC Bundesverband als Musterlösung empfohlen werden, machen sich dabei auch Stimmen bemerkbar, die „Holländische“ Kreisverkehre als „Best Praxis“ empfehlen. Abgesehen davon, dass das Kopieren niederländischer Musterlösungen fragwürdige Folgen haben könnte, da das Radunfallrisiko in den Niederlanden derzeit generell deutlich größer ist als in Deutschland, ist allerdings auch anzumerken, dass es den holländischen Standard-Kreisverkehr ebenso wenig gibt wie die holländische Standard-Kreuzung. Auch im Nachbarland kommen und gehen offensichtlich die Moden bei der Anlage von Radverkehrsanlagen im Laufe der Jahrzehnte, so dass sich mit wenig Mühe im heterogenen Bestand für jede denkbare Variante zahlreiche Beispiele finden lassen. Besonders hervorzuheben im Hinblick auf KV ist, dass in den Niederlanden von Gemeinde zu Gemeinde die Frage der Vorfahrt des Radweges im Kreisverkehr unterschiedlich gehandhabt wird und dass es zudem in NL durchaus üblich ist, Radverkehr in Schutzstreifen auf der Kreisfahrbahn oder auf Radwegen ohne jede Absetzung um den Kreisel zu führen.

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Eigene Statistik der Todesfälle in Deutschland

Im Zuge der seit über 11 Jahren laufenden Registrierung und Auswertung der tödlichen Fahrradunfälle in Deutschland sind unter 5.053 Fällen insgesamt 44 (0,9%), bei denen es aufgrund von Luftbildanalyse oder Erwähnung in den Pressemitteilungen an einem KV zur tödlichen Kollision kam (Stand: 2.5.2024). Lässt man Vorfälle ohne weitere Beteiligte bzw. ohne Fußgänger und Schienenverkehr außer Betracht, so stellen die 44 KV-Einträge einen Anteil von 1,4% an allen Fällen mit Beteiligung von Fahrzeug-Gegnern.

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Ortslage

Die überwiegende Anzahl der KV-Todesfälle ereignete sich innerhalb von geschlossenen Ortschaften (38 von 44). Nur 6 Tote gab es demgegenüber an Kreiseln, die an Kreuzungen von Landstraßen im Freiland lagen, worunter nur in 2 Fällen eine Vorfahrtverletzung durch den beteiligten Radfahrer zu vermuten war. Vorfahrtfehler durch Radfahrer sind außerorts grundsätzlich die dominierende Konstellation für Fahrrad-Todesfälle, so dass die niedrige Opferzahl aus der Perspektive der Radverkehrssicherheit durchaus für (zumindest nicht gegen) die Anlage von KV an Landstraßen spricht.

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Das Risiko einer KV-Kollision hängt wahrscheinlich stark von der KFZ-Verkehrsbelastung der jeweiligen Straßenkreuzung ab. Diese wiederum könnte -insbesondere bei innerörtlichen Unfällen- mit der Einwohnerzahl korrelieren. Die Analyse der KV-Todesfälle innerorts ergibt überraschenderweise, dass mehr als die Hälfte der 38 innerörtlichen KV-Unfälle in Dörfern und Kleinstädten mit weniger als 20.000 Einwohnern, die zusammengenommen etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung repräsentieren, passierten. Großstädte, die in Deutschland ebenfalls etwa 1/3 der Bevölkerung -und wahrscheinlich einen noch wesentlich größeren Anteil des Radverkehrs- stellen, sind hingegen mit nur 5 Fällen deutlich unterrepräsentiert. Dies könnte dafür sprechen, dass Kreisverkehre gerade in Großstädten nach wie vor wenig populär sind und dort stattdessen konventionelle Straßenkreuzungen mit und ohne Ampelsignalisierung bevorzugt werden. Ebenso ist möglich, dass Kreisverkehre gerade in Großstädten in besonderem Maße zu einer Verhinderung schwerer Fahrradunfälle beizutragen vermögen, weil diese Führungsform in besonderem Maße vom „Safety in Numbers“-Phänomen profitiert. Zur endgültigen Klärung dieser Frage wäre die Kenntnis der Quote [Anzahl KV : Anzahl konventionelle Kreuzungen] unter Berücksichtigung jeweils der Verkehrsstärken erforderlich – eine schier unlösbare Aufgabe.

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Infrastruktur

Wie eingangs erwähnt, kann die Einrichtung eines KV für den nicht-motorisierten Verkehr außerhalb der Fahrbahn problematisch sein. Da Streifenlösungen in KV in Deutschland unzulässig sind, und sich freigegebene Gehwege sowie gemeinsame oder getrennte Radwege auf dem Hochbord im Hinblick auf mögliche Konflikte mit dem KFZ-Verkehr nicht unterschieden, habe ich mich bei der Untersuchung der Radführungsform auf die Frage „separate Führung ja/nein“ beschränkt. Mehrheitlich kam es auf KV zum tödlichen Unfall, wenn der Radfahrer vorher auf einer Radführung unterwegs war (31 von 44, 70%).

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Hergänge und Gegner

Wie bei der Analyse einer Knotenpunkt-Führung nicht anders zu erwarten, stellen Vorrangkonflikte aller Art praktisch ausschließlich die zugrunde liegenden Hergänge. Unter den insgesamt 44 Fällen dominiert hierbei mit insgesamt 29 Ereignissen der Problemkreis Unfalltyp 3xx (90°-Konflikte bei Vorfahrt/Fahrbahnquerung). Auffällig ist, dass in 20 der 24 Vorfahrt-Fälle der Radfahrer auf der Fahrbahn oder dem Radweg im KV unterwegs war, während der Gegner aus einer der zuführenden Arme einfuhr. In 17 dieser Fälle bestand Vorfahrt für den Radverkehr, während in zwei Fällen dem Radweg der Vorrang mit Zeichen 205 genommen wurde. Ein Radfahrer kollidierte mit einem von links kommenden in den KV einfahrenden LKW, als er verkehrswidrig als Geisterfahrer und quer über eine Sperrfläche fahrend unterwegs war. In 5 Fällen querten Radler eine weit abgesetzte Furt oder Querungshilfe auf einem der zuführenden Straßenarme, wodurch sie sowohl gegenüber dem aus- als auch gegenüber dem einfahrenden KFZ-Verkehr auf der Fahrbahn Nachrang hatten.

KV_Hergang

Mit einem Anteil von knapp 1/4 findet sich der Konflikt „rechtsabbiegendes, aus dem KV ausfahrendes KFZ vs. im KV weiterfahrendes Fahrrad“ unter den Hergängen. Auffällig ist hier, dass nur in 4 der 10 Fälle LKW über 3,5 t als Gegner beteiligt waren, was insofern überrascht, als bei tödlichen Rechtsabbiegerunfällen ansonsten typischerweise schwere LKW das Geschehen eindeutig bestimmen (Verhältnis ohne KV LKW:PKW = 9:1). Offensichtlich stellt die Beachtung des Vorrangs für den Radweg beim KV für PKW-Führer eine größere Herausforderung dar als an konventionellen Kreuzungen.

KV_Gegner

Unter den 44 tödlichen KV-Unfällen findet sich auch ein Fall unter Beteiligung eines zweiten Radfahrers. Die fatale Kollision ereignete sich mutmaßlich beim Überholen innerhalb eines kleinen KV ohne umlaufende Radführung.

Fazit

Die Analyse der tödlichen Unfällen an Kreisverkehren über den Zeitraum von über 11 Jahren hinweg bestätigt die eingangs erwähnten, mit wesentlich kleineren Stichproben (und damit vorwiegend durch Unfälle mit nur leichten Verletzungen) gewonnen Erkenntnisse der Verkehrsforschung: Kreisverkehre sind auch für den Radverkehr sicher. Ein Anteil von nur 1,4% von allen erfassten Fahrrad-Todesfällen mit weiteren Beteiligten zeigt, dass grundsätzlich keine spektakulären Sicherheitsdefizite bei den Kreisverkehren im deutschen Bestandsnetz vorliegen. Im Hinblick auf die Unfallhergänge weisen KV keine signifikante Abweichung vom Muster auf, das man bei konventionellen Knotenpunkten findet: die überwiegende Zahl der fatalen Unfälle resultiert aus der Vorfahrtnahme gegenüber im Kreis befindlichen Radfahrern durch von rechts einfahrende KFZ, gefolgt von Rechtsabbiegerunfällen von aus dem Kreis ausfahrenden KFZ mit auf Infrastruktur parallel fahrenden Radlern, an denen anders als bei konventionellen Kreuzungen allerdings auch vermehrt PKW beteiligt sind.

Da keine genauen Zahlen über die Anzahl der Kreisverkehre in Deutschland in Relation zur Gesamtzahl der Knotenpunkte vorliegen, lassen sich abgesehen von diesem groben Gesamteindruck allerdings keine exakten Vor- und Nachteilsbilanzen treffen. Das gleiche grundsätzliche Problem gilt für die Frage, ob und welchen Einfluss die An- oder Abwesenheit von Fahrrad-Infrastruktur an KV ausübt. Todesfälle geschehen zu mehr als 2/3 an KV, die bereits über begleitende Fahrradinfrastruktur verfügen – angesichts der überwiegend ohne Radweg angelegten kleinen Kreisverkehre innerorts (s.o.) jedenfalls kein Hinweis darauf, dass radwegfreie KV zur Vermeidung von Todesfällen dringend der Nachrüstung mit Radwegen bedürften.

Die geringe Gesamtzahl an Opfern deutet darauf hin, dass Kreisverkehre für den Radverkehr keine zentrale sicherheitstechnische Herausforderung darstellen. Es gibt derzeit schätzungsweise 18.000 KV in Deutschland. An praktisch allen davon gab es in den letzten 11 Jahren keinen tödlichen Fahrradunfall. An keinem der 44 KV mit Todesfall starb zudem mehr als ein Radfahrer. Trotz der bestehenden grundsätzlichen Probleme, die sich aus der Unkenntnis der Relation der KV-Zahl im Verhältnis zur Anzahl konventioneller Kreuzungen ergeben, liefert die Auswertung der Todesfälle insgesamt keine Hinweise darauf, dass die KV im Bestand ein riesiges systematisches Sicherheitsproblem für den Radverkehr darstellen, zu dessen Lösung der systematische Umbau des Bestands nach dem Vorbild einer vermeintlichen holländischen Musterlösung notwendig und hinreichend wäre. Vollends irrational und sinnlos ist angesichts der minimalen Wahrscheinlichkeit sowie der dadurch bedingt fehlenden statistischen Korrelation mit bestimmten Führungsformen der nachträgliche Umbau einer Unfallkreuzung als Reaktion auf einen der seltenen Todesfälle. Die Wiederholungsgefahr beträgt bei gleich welcher Bauform offensichtlich Null.

Update März 2024

Update der Unfallsteckkarte, Update Calendar-Chart 2024, Stand 4.4.2024.

Unfallentwicklung im März 2024

Im März 2024 kam es in Deutschland zu 17 Todesfällen mit Radfahrern. Damit liegt der März deutlich unterdurchschnittlich und ungefähr auf dem Niveau des bislang günstigsten März-Ergebnis aus dem Jahr 2016.

Jahresgang2024_monatlich

Acht Radfahrer verunglückten tödlich bei Alleinunfällen, weitere Tote ohne Beteiligung von fahrenden KFZ waren nicht zu beklagen.

monatstorte

Nach Ablauf der ersten drei Monate stellt sich der Jahresbeginn in den beiden beobachteten Kategorien „Alleinstürze und „mit KFZ außerorts“ durch den unfallarmen März als unauffällig dar. Insbesondere bei KFZ innerorts setzt sich aber der seit der Pandemie auftretende Trend zu relativ wenigen Ereignissen fort. Hier weist das aktuelle Jahr vorerst höchstens die Hälfte vom jeweiligen Aufkommen in den drei bislang schlechtesten ersten Quartalen (2014, 2016 und 2019) auf.

jahresgang2024

Unfälle mit KFZ

Im März 2024 gab es nur 7 neue Todesfälle nach Kollision von Radfahrern mit fahrenden KFZ; 2 inner- und 5 außerorts. Hinzu kommt ein weiterer Alleinunfall unter KFZ-Beteiligung in Mülheim an der Ruhr, wo ein Rennradfahrer ungebremst ins Heck eines wegen Straßenarbeiten auf der Fahrbahn stehenden LKW eines Tiefbauunternehmens prallte.

kfz2024

Im März ereignete sich kein Todesfall mit einem rechtsabbiegenden LKW, womit sich der günstige Trend auf diesem Sektor nach der Unterbrechung durch die zwei Fälle im Februar wieder fortsetzt. Ein Unfall durch Rammen von hinten geschah am letzten Märztag, als außerorts bei Dreieich an einer Spurzusammenführung ein Kleinwagen ungebremst und ohne erkennbare Überholabsicht ins Hinterrad einer Rennradfahrerin prallte.

kfz2024_typen

Lyon, das neue Tempo 30-Wunder?

Ende März 2023 ging die Stadtverwaltung von Lyon stolz an die Öffentlichkeit und verwies auf einen 39%igen Rückgang der schweren Unfälle sowie einen 35%igen Rückgang der Verkehrsunfälle insgesamt beim Vergleich 2023 mit 2019, der vermeintlich durch die Einführung von Tempo 30 in weiten Teilen des Stadtgebiets ab März 2022 bewirkt worden sei. Diese Errungenschaft wurde umgehend von deutschen Medien und Verkehrswende-NGOs mit dem vorwurfsvollen Tenor „Warum kann Frankreich das, und wir in Deutschland kriegen mal wieder nix auf die Kette!?“ aufgegriffen. Wenn Korrelation unhinterfagt für Kausalität genommen werden darf, sobald die Ergebnisse nur die gewünschte Richtung zeigen, dann muss allerdings die Entschleunigung in Lyon wohl auch in Deutschland die Entwicklung genau so günstig beeinflusst haben:

lyon

Es bleibt ein Geheimnis des Bürgermeisters von Lyon, warum er hinsichtlich der Unfallentwicklung insgesamt in 2023 mit 2019 das unfallstärkste Jahr der letzten anderthalb Dekaden als Referenz wählt, aber beim Radverkehr lediglich das Jahr 2022 als Bezug präsentiert, wo erstens die Differenz zu 2023 mit minus 18% nur halb so groß ausfällt wie der eingangs angeführte vermeintliche T30-Erfolg allgemein, zweitens schon 9 Monate lang Tempo 30 galten und drittens das schwächere Abschneiden wiederum mit dem 56%igen Anstieg des Radverkehrs seit 2019 relativiert wird. Diese Volte muss um so mehr überraschen als man erwarten darf, dass sich ein Erfolg der Entschleunigung vorrangig durch spezifische Rückgänge bei den verletzten ungeschützten Verkehrsteilnehmern erweisen muss, da Insassen von Autos auch schon bei Tempo 50 durch Knautschzone, Gurt und Airbag bestens gegen Verletzungen geschützt sind. So sehen Kampaigning-Nebelkerzen aus, die verschleiern sollen, dass da in Wahrheit wohl ein statistischer Ausreißer als kausaler Effekt verkauft wird.

Man wird abwarten müssen, bis die nationale Verkehrsbehörde ONISR für das Département Rhone die endgültigen Zahlen für Lyon präsentiert. Bislang hat sich aber noch jede Jubelmeldung über dramatische Effekte von Tempo-30 als Ausreißer entpuppt, egal ob in Brüssel (2021), Helsinki (2019), Oslo (2019) oder Grenoble (2016).

„Gefährliche Großstadt“? revisited

Zur Analyse des Unfallrisikos in Großstädten hatte ich bereits Anfang 2020 einen Beitrag verfasst. In der Zwischenzeit sind vier Jahre verstrichen, in denen sich zum allgemeinen Trend zu wachsendem Radverkehr der anhaltende Pedelec-Boom und pandemiebedingte Sondereffekte gesellt haben. Aus diesem Grund lohnt sich ein erneuter Blick auf das Radunfallgeschehen in den deutschen Großstädten.

Allgemeine Entwicklung

Seit dem Beginn meiner Aufzeichnungen 2013 habe ich bis heute (25.3.2024) insgesamt 984 Einträge mit Todesfällen innerhalb einer Großstadt erfasst (Ø 87 Fälle p.a.). Das entspricht einem Anteil von knapp einem Fünftel (19,6%) von allen Fahrrad-Todesfällen in diesem Zeitraum.

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Der jährliche Wert schwankt mit Ausschlägen nach oben und unten um den Mittelwert, wobei gleich zu Beginn (2013, 2015) sowie in den letzten drei Jahren (2021-2023) die niedrigsten Werte auftreten. Von einer steigenden Anzahl an Opfern, wie es die übliche alarmistische mediale Berichterstattung postuliert, kann jedenfalls keine Rede sein. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass im Beobachtungszeitraum die Radfahrleistung in Deutschland deutlich angestiegen ist. Obwohl ein Teil dieses zusätzlichen Volumens wahrscheinlich durch vermehrte Aktivitäten von Pedelec-Ausflüglern auf außerörtlichen Straßen und Wegen erbracht wird, verzeichnen auch die Großstädte einen spürbaren Anstieg im Radverkehr. Zusammen mit der mindestens stabilen Opferzahl ergibt dies ein pro Radfahrer stark gesunkenes Sterberisiko, das im Licht der Ergebnisse in den letzten beiden Jahren offensichtlich auch nicht durch eine Pandemie-bedingte Änderung im Mobilitätsverhalten verursacht ist.

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Bei der Unterscheidung in Fälle mit oder ohne KFZ-Beteiligung erweist sich, dass im Trend der Anteil der Todesfälle, an denen ein KFZ beteiligt war, abnimmt. Zu Beginn der Aufzeichnungen beträgt der KFZ-Anteil noch rund 2/3 und er fällt bis auf etwa 50% im vergangenen Jahr 2023. Das Risiko einer tödlichen Verletzung nach Kollision mit einem KFZ, was wohl die von misstrauischen Umsteigekandidaten am meisten befürchtete Konstellation für Radunfälle darstellt, ist somit im Vergleich zum ohnehin abnehmenden Gesamtrisiko auch noch weit überproportional gesunken.

Gegner bei tödlichen Radunfällen in der Großstadt

Von den im Mittel 87 Fahrrad-Todesfällen in den 82 deutschen Großstädten entfällt der größte Anteil auf Unfälle ohne weitere Beteiligte (30%). Nur wenig seltener sind Todesfälle nach Kollision mit LKW. An diesen wiederum stellen Fälle mit schweren LKW über 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht, die unachtsam beim Rechtsabbiegen über Radverkehrsführungen mit parallel fahrenden Radlern gesteuert werden, den Hauptanteil. Insgesamt geht knapp ein Fünftel (18%) aller Fahrradtodesfälle in Großstädten zu Lasten dieses einen Szenarios. Mit 26% Anteil folgen Vorfälle mit Beteiligung von PKW erst auf dem dritten Platz. Dieser Befund dürfte neben dem oben erwähnten Trend zur deutlichen Abnahme des Unfallrisikos mit allen KFZ wohl die größte Überraschung für besorgte Umsteigekandidaten sein. Etwas abgeschlagen mit 7% schließen sich Todesfälle unter Beteiligung des Schienenverkehrs (Straßenbahn, Eisenbahn) an. Fahrradunfälle mit Fußgängern, Busverkehr, Krafträdern und anderen Radfahrern stellen demgegenüber mit kleinen einstelligen Fallzahlen jährlich recht geringe Anteile und zusammengenommen rund 8% der Großstadt-Toten.

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Analyse der PKW-Unfälle

Wie bereits erwähnt, stellen PKW nur einen für Viele wohl überraschend niedrigen Anteil am gesamten Geschehen in den Großstädten. Auch in absoluten Zahlen liegt das Risiko eines fatalen Zusammenstoßes mit einem PKW mit im Mittel nur 23 Todesfällen jährlich gemessen am üblichen Lamento „Jeden Tag stirbt ein Radfahrer“ überraschend niedrig. Ein Blick auf die Hergänge der wenigen PKW-Unfälle in den Großstädten dürfte die Überraschung weiter steigern.

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Insgesamt gehen weit über die Hälfte der PKW-Unfälle auf das Konto von Zusammenstößen zwischen Fahrzeugen, deren Fahrlinien sich im Winkel von 90° kreuzen (Fahrbahnquerung, Vorfahrt, Einfahren in die Fahrbahn aus Grundstücken). Unter den PKW-Unfällen, die sich zwischen Fahrzeugen ereignen, die sich in gleicher oder entgegengesetzter Richtung auf der selben Straße bewegen, stellen Abbiegekonflikte den größten Posten. Anders als bei schweren LKW, wo der Rechtsabbiegekonflikt das Unfallgeschehen dominiert, sind bei PKW allerdings hauptsächlich Linksabbiegekonflikte beteiligt, wobei zu je etwa der Hälfte entweder das Fahrrad oder der PKW als Abbieger involviert war. Ebenfalls von eher geringer Bedeutung sind Unfälle mit dem ruhenden Verkehr (Radfahrer kollidiert mit parkendem oder haltendem PKW, 1% von allen) oder durch Kontakt mit unbedacht aufgestoßenen Türen („Dooring“, 2% von allen).

Besonders hervorzuheben ist der Umstand, dass Todesfälle unter Beteiligung von von hinten auflaufenden schnellen PKW mit einem Anteil von unter 1% von allen Todesopfern in den deutschen Großstädten eine absolute Ausnahme stellen.  Ausdruck dieser Exotik ist auch die Tatsache, dass der vorläufig letzte unter den ohnehin nur sieben Todesfällen mit einem überholenden PKW in einer der 82 deutschen Großstädte mittlerweile knapp sieben Jahre zurück liegt (4.7.2017 in Aachen).

Fazit

Entgegen populärer Vorurteile ist Radfahren in der Großstadt sehr sicher. Mehr als 2/3 der deutschen Großstädte haben derzeit länger als ein Jahr KFZ-Fahrrad-VisionZero zu verzeichnen, gut die Hälfte ist seit mindestens zwei Jahren ohne solchen Todesfall. Die Sicherheitslage verbessert sich dabei -ebenfalls entgegen der gängigen Berichterstattung- noch stetig. Insbesondere die seit der Einführung von verbindlichen Überholabständen in der StVO von Radfahrern und besorgten Umsteigekandidaten zunehmend geäußerte Unterstellung, man werde in der Stadt von rücksichtslos überholenden PKW-Fahrern in Lebensgefahr gebracht, erweist sich im Lichte der vorliegenden Analyse als haltlos.

Update Februar 2024

Update der Unfallsteckkarte, Update Calendar-Chart 2024, Stand 3.3.2024.

Unfallentwicklung im Februar 2024

Im Februar 2024 gab es insgesamt 21 neue Einträge in die Datenbank. In der vorläufigen Bilanz reiht sich der abgelaufene Monat damit auf durchschnittlichem Niveau in die Reihe der Vorjahre ein.

Jahresgang2024_monatlich

Zehn Radfahrer verunglückten tödlich bei Alleinunfällen, 2 Opfer waren an Bahnübergängen mit dem durchfahrenden Schienenverkehr zu verzeichnen.

monatstorte

Nach Ablauf der ersten zwei Monate stellt sich der Jahresbeginn in den drei beobachteten Kategorien „Gesamtzahl“, „Alleinstürze und „mit KFZ außerorts“ insgesamt als „mittelprächtig“ dar. Bei KFZ innerorts setzt sich der seit der Pandemie auftretende Trend zu relativ wenigen Ereignissen fort.

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Unfälle mit KFZ

Im Februar 2024 gab es 9 neue Todesfälle nach Kollision von Radfahrern mit KFZ; 4 inner- und 5 außerorts.

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Zum ersten mal seit dem 29. September 2023 ereignete sich nach 149 Tagen am 22.2.2023 wieder ein Todesfall durch einen in Bamberg über eine Radverkehrsanlage unachtsam rechts abbiegenden LKW-Fahrer. Eine Woche nach dem Ende dieser mit großem Abstand bisher längsten Serie in dieser Rubrik passierte das gleiche in Köln mit einem Betonmischer, der über den Radweg in eine Tankstelle abbog. Ein Unfall durch Rammen von hinten geschah am 24.2. in Sillertshausen (BY), als ein PKW-Fahrer eine Radfahrerin rammte, die er durch niedrig stehende Sonne in Kombination mit Schlagschatten am Waldrand übersehen hatte.

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PKW-fahrende Senioren als Unfallgegner bei tödlichen Fahrradunfällen

Einleitung

Am 28.2.2024 beschloss das Europaparlament in einer Abstimmung über eine Vorlage der EU-Kommission, dass es vorerst keine verpflichtenden Gesundheits-Checks für ältere Autofahrer in der EU geben solle. Die Vermutung, dass spezifische altersbedingte Defizite von Senioren im Unfallgeschehen eine auffällig große Rolle spielen würden, und dass es gleichzeitig möglich sei, diese Defizite vorab im Rahmen einer Routineuntersuchung feststellen und die künftigen Verursacher daher vom Straßenverkehr rechtzeitig ausschließen zu können, wird jedoch auch künftig nach jedem spektakulären Unfall unter Beteiligung eines Senioren erneut auf die (social-)mediale Tagesordnung gehoben werden. Unabhängig von der durchaus fragwürdigen Erfolgsquote von solchen Routinechecks ist allerdings auch strittig, ob Senioren überhaupt -wie nach aufsehenerregenden Einzelfällen schnell pauschal unterstellt- für andere Verkehrsteilnehmer ein relevant erhöhtes Risiko darstellen. Diese Frage soll anhand einer Auswertung der tödlichen Fahrradunfälle unter dem Gesichtspunkt des Alters von PKW-führenden Unfallgegnern erhellt werden.

Häufigkeit von PKW-Unfällen

Im Zuge der seit Anfang 2013 laufenden Erfassung von tödlichen Fahrradunfällen habe ich, sofern verfügbar, auch das Alter der Unfallgegner in die Datenbank eingetragen, so dass die Filterung auf diesen Parameter im Kontext von Ortslage, Straßenkategorie, Schuldverteilung oder Unfallhergang möglich ist. Die Einstufung eines Unfallgegners als „Senior“ erfolgte für die vorliegende Auswertung, wenn der beteiligte PKW-Lenker mindestens 75 Jahre alt war. Dieser Wert wurde bewusst höher gewählt als das Kriterium „Senior“, das bei der Auswertung der Verkehrsunfallstatistik durch die Polizeibehörden oder seitens des Statistischen Bundesamt angesetzt wird (65 Jahre) und auch höher als es dem Vorschlag der EU-Kommission bei der Abstimmungsvorlage über regelmäßige medizinische Fahrtauglichkeitstests für das Europaparlament entsprach (70 Jahre). Für die Klärung, ob spezifische altersbedingte Ausfälle existieren, die zu erhöhten Unfallrisiken für die beteiligten „Aussassen“ führen können, erscheint mir die Trennung erst ab einem Alter von mindestens 75 Jahren zweckmäßiger, weil nur dann damit zu rechnen ist, dass alterstypische Risiken hinreichend klar sichtbar zu Tage treten können.

Insgesamt wurden seit Beginn meiner Erfassung Anfang 2013 bis heute (6.3.2024) 5011 Todesfälle von Radfahrern ausgewertet. Bei 1810 davon war am Ereignis ein PKW beteiligt, der in 184 Fällen von einem Lenker gesteuert wurde, der mindestens 75 Jahre alt war. Das entspricht im Mittel ca. 160 tödlichen Fahrrad-PKW-Unfällen jährlich, von denen rund 16 (10,2%) unter Beteiligung von Senioren am Steuer sind.

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In 304 Fällen war das Alter des PKW-Lenkers den Pressemeldungen nicht zu entnehmen und 28-mal befand sich der PKW lediglich im ruhenden Verkehr ohne Person am Steuer (z.B. Aufprall des Radfahrers ins Heck eines am Fahrbahnrand parkenden PKW). Für die weitere Auswertung beschränke ich mich auf Fälle mit aktivem PKW-Lenker, dessen Alter bekannt ist (1.659 Fälle, davon 1475 mit Alter bis einschließlich 74 Jahren und 184 (12,5%) mit mindestens 75-jährigen PKW-Führern).

alter

Hergänge und Ortslagen

Gibt es bei Senioren abweichende Muster bei Hergängen und Ortslagen? Zur Beantwortung dieser Frage wurde zunächst die Anzahl der Ereignisse je nach Hergang (Abkürzungen siehe Legende) und Ortslage tabellarisch erfasst.

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Anschließend wurde der Prozentwert der Altersgruppe „Senioren“ (75+ Jahre) innerhalb der jeweiligen Rubrik berechnet.

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Die Einfärbung der Zellen in der entsprechenden Ergebnistabelle zeigt das Maß der Abweichung der jeweiligen Quoten von der Gesamtquote, die für alle Ereignisse global in Abhängigkeit vom Fahreralter gefunden wurde (12,5%). Über alle Ortslagen hinweg sind Senioren tendenziell häufiger an tödlichen Fahrradunfällen vom Typ „Ü“ (Rammen/Streifen von hinten) sowie an Unfällen beim Rechtsabbiegen unter Beteiligung von auf Radverkehrsanlagen parallel geradeaus fahrenden Radlern beteiligt. Besonders selten fallen Senioren hingegen bei Vorfahrtkonflikten als Gegner auf. Im Hinblick auf die Gewichtung der Ortslagen zeichnet sich über alle Hergänge hinweg insgesamt ein Bild ab, bei dem Senioren am PKW-Steuer auf Landstraßen öfter vertreten waren, während sie innerhalb von geschlossenen Ortschaften unterdurchschnittlich auftreten. Die hohe Senioren-Quote innerorts beim Unfallhergang „Einfahren in die Fahrbahn“ und in der Rubrik „unklar“ ist wahrscheinlich lediglich ein statistischer Ausreißer, der auf die sehr kleinen Absolutzahlen in diesen Sparten zurückzuführen ist.

Zeitliche Entwicklung

Meine Untersuchung der tödlichen Fahrradunfälle läuft mittlerweile das zwölfte Jahr. Infolgedessen bietet sich die Möglichkeit, die chronologische Entwicklung der Seniorenunfälle zu analysieren, um die Hypothese zu prüfen, wonach Seniorenunfälle aufgrund der allmählichen Überalterung der Gesellschaft stetig zunehmen würden.

chronologisch

Wie die Abbildung oben ausweist, gibt es eine beträchtliche Bandbreite der Ergebnisse für einzelne Jahre mit teils deutlichen Abweichungen vom langjährigen Mittelwert (Ø16). Dabei liegen sowohl das Jahr mit den meisten Todesfällen (2016, 28) wie auch das mit den wenigsten (2015, 10) schon etwas länger zurück und folgten direkt aufeinander. Im Trend weist die Statistik eine leichte Abnahme der Fallzahl auf, was insgesamt auch dem Bild für Fahrradunfälle unter Beteiligung von PKW in der Gesamtstatistik entspricht. Eine Maßnahmen erfordernde besorgniserregende Zunahme der Todesfälle mit Senioren am Steuer ist jedenfalls nicht zu erkennen.

Schuldverteilung

Einen wichtigen Hinweis auf altersbedingte Defizite bei Senioren am PKW-Steuer könnte die Analyse der Schuldverteilung aufdecken. Für alle erfassten Fahrradunfälle mit Beteiligung weiterer Personen wurde von mir aus meinem Gesamteindruck beim Studium der Pressemeldungen eine mutmaßliche Hauptschuld festgelegt. Anzumerken ist hier vorab, dass die endgültige Haftungsverteilung oft erst lange Zeit nach dem Unfall vor Gericht geklärt wird, der Öffentlichkeit unter Umständen nicht alle Informationen zur Klärung der Schuldfrage mitgeteilt werden (Beleuchtung am Rad, Alkoholisierung der Beteiligten, genaue Fahrlinien vor der Kollision) und zudem die relative Gewichtung der Bedeutung der zum Unfall beitragenden Fehlverhaltensweisen in vielen Fällen auch Geschmacksache ist. Infolgedessen ist damit zu rechnen, dass meine persönliche Einschätzung sowohl zufällig wie auch systematisch von der amtlichen Einstufung durch die Unfallaufnahme abweichen wird. Allerdings gehe ich davon aus, dass die große Anzahl an untersuchten Ereignissen zufällige Fehler ausgleicht und dass systematische Abweichungen nicht vom Alter der beteiligten PKW-Lenker abhängen. Insofern dürfte das Ergebnis unter dem Strich zur Klärung des eingangs dieses Absatzes aufgeworfenen Problems geeignet sein.

schuldverteilung

Die Intensität der rötlichen Einfärbung der Tabellenzellen folgt dem Zellenwert für die Schuldverteilung je nach Unfallhergang. Der Vergleich der Farbmuster weist aus, dass im Wesentlichen bei keinem der Unfallhergänge eine starke altersabhängige Änderung der Schuldverteilung zu beobachten ist. Auffällig ist allerdings, dass insgesamt über alle Unfallhergänge hinweg die Unfallschuld bei jüngeren Autofahrern seltener auf Seiten der Kraftfahrer liegt (35% Hauptschuld PKW) als das bei Senioren der Fall ist (51% Hauptschuld PKW).

Einschätzung des Risikos unter Berücksichtigung des altersabhängigen Bevölkerungsanteils

Wie oben erwähnt, beträgt der Anteil der Senioren 75+ am Steuer von unfallbeteiligten PKW 12,5%. Um diesen Wert objektiv einschätzen zu können, bedarf es der Normierung auf die Fahrleistung der Personen im entsprechenden Alter. Meines Wissens nach gibt es leider keine Erhebung, die diesen Parameter für die gewählte Altersgruppe im Zuge von Mobilitätsstudien repräsentativ erfasst. Ebenso besteht grundsätzlich in der Mobilitätsforschung Unkenntnis darüber, in welchen Ortslagen und zu welchen Tageszeiten die jeweilige Mobilitätsleistung erbracht wird. Aus Studien zum Verhalten älterer Kraftfahrer ist lediglich qualitativ bekannt, dass Senioren zunehmend die Autobahnen und Landstraßen meiden und seltener bei Dunkelheit unterwegs sind. Die Verlagerung der Aktivitäten auf den Bereich im Wohnumfeld innerhalb der geschlossenen Ortschaften und während der Tageslichtzeiten würde aufgrund der typischerweise dort wesentlich häufigeren Konflikte die Unfallzahl erhöhen, während auf der anderen Seite die Schwere der Ereignisse aufgrund der innerorts viel niedrigeren Geschwindigkeiten abnehmen sollte. Angesichts dieser schwierigen Gemengelage ist die beste Annäherung an das altersabhängige Unfallrisiko mit Hilfe der sehr gut bekannten Einwohnerzahlen zu erreichen. Dem aktuellen Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes zufolge umfasste die deutsche Bevölkerung im Jahr 2022 insgesamt 83,1 Millionen Personen, von denen 8,6 Millionen mindestens 75 Jahre alt waren und 60,7 Millionen zwischen 17 und 74 Jahren lagen. Der Anteil der Senioren an den 69,3 Millionen PKW-Führerschein-fähigen Personen beträgt somit 12,4% – was ziemlich genau dem Wert der beteiligten Senioren an tödlichen Fahrrad-PKW-Unfällen entspricht.

Fazit

Die vorliegende Analyse hat gezeigt, dass tödliche Fahrradunfälle unter Beteiligung von Senioren insgesamt recht seltene Ereignisse sind. Von den derzeit jährlich gut 400 im Straßenverkehr tödlich verunglückten Radfahrern versterben im langjährigen Mittel lediglich 16 (3,5%) unter Beteiligung von PKW-Führern, die älter als 75 Jahre sind. Nur in etwa der Hälfte dieser wenigen Fälle liegt dabei die mutmaßliche Hauptschuld auf Seiten des PKW-Führers. Die Anzahl der jährlich registrierten Fahrrad-PKW-Seniorenunfälle hat im Laufe der letzten 12 Jahre im Trend abgenommen. Die Analyse der Unfallhergänge ergibt zwar ein überdurchschnittliches Risiko für eine Seniorenbeteiligung bei Ramm-/Streifunfällen im Längsverkehr sowie bei Rechtsabbieger-Unfällen. Aufgrund der niedrigen Absolutzahlen in diesen Rubriken beträgt der Unterschied zum anhand der Zahl gleichartiger Fälle mit Fahrern bis 74 Jahren abgeleiteten Erwartungswert allerdings maximal 1 pro Jahr. Senioren am Steuer sind innerorts etwas seltener und außerorts etwas häufiger als dem Erwartungswert entsprechend an tödlichen Fahrradunfällen beteiligt, und sie trifft im Falle einer Beteiligung in einer höheren Quote die (mutmaßliche) Hauptschuld. Die Quote der Beteiligung von Senioren an tödlichen Fahrrad-PKW-Unfällen entspricht dem Anteil der Senioren an den PKW-Führerschein-fähigen Personen.

Insgesamt ergibt die vorliegende Betrachtung damit kein spürbar erhöhtes Risiko, dass eine betagte Person an einem tödlichen Fahrradunfall beteiligt sein wird. Senioren sind offensichtlich in der Lage, durch große Erfahrung und Verhaltensanpassung (wozu auch reduzierte Fahrleistungen, die Beschränkung auf bekannte Strecken oder der freiwillige gänzliche Verzicht aufs Autofahren gehören) etwaige altersbedingte Defizite so vollständig auszugleichen, dass ihre Unfallbeteiligung ihrem Bevölkerungsanteil entspricht. Aufgrund der generell niedrigen Fallzahlen und insbesondere aufgrund der Tatsache, dass es im Hinblick auf spezifisches Fehlverhalten und Hergang offensichtlich keinen herausragenden typischen „Seniorenunfall“ gibt, zeigt sich damit, dass eine regelmäßige medizinische Prüfung von Senioren als PKW-Führer keine messbare Entlastung des Geschehens bei schweren Fahrradunfällen bringen würde. Dies bestätigt die von der Schweizer Behörde „Beratungsstelle für Unfallverhütung“ (BfU) durchgeführte Untersuchung klar auch für den Personenkreis einer als besonders vulnerabel geltenden möglichen Opfergruppe. Die BfU war nach der Analyse der Unfallentwicklung in der Schweiz im Vergleich mit der in Deutschland und Österreich (wo derartige Prüfungen nicht notwendig sind) vor und nach der Einführung von medizinischen Kontrolluntersuchungen ab 70 Jahren in der Schweiz zu dem Schluss gekommen, dass die Checks die erhoffte Wirkung verfehlt hatten. In der Folge wurde die gesetzliche Altersschwelle für die Untersuchungspflicht bereits auf 75 Jahre angehoben und soll nach erneuter Prüfung gegebenenfalls weiter auf dann 80 Jahre angehoben oder wieder ganz abgeschafft werden.

Update Januar 2024

Update der Unfallsteckkarte, Update Calendar-Chart 2024, Stand 2.2.2024. Die Calendar-Charts der Vorjahre sind weiterhin hier zu finden: 2022, 2023

Vorbemerkung: Mittlerweile führe ich die Registrierung der tödlichen Radunfälle in Deutschland im 12. Jahr durch. Hieraus ergibt sich das Problem, dass die überlagerte Darstellung aller Daten seit Beginn allmählich immer unübersichtlicher geworden ist. Infolgedessen habe ich mich dazu entschieden, aus Gründen der Übersichtlichkeit die Anzahl der angezeigten Jahrgänge in den Plots der Monatsupdates zu reduzieren. Es werden ab sofort nur die jeweils 10 aktuellsten Kurven abgebildet; der Gang des Durchschnitts bezieht sich allerdings weiterhin auf den vollständigen Mittelwert aller erfassten Jahre.

Unfallentwicklung im Januar 2024

In der ersten Hälfte des Januar verlief das Unfallgeschehen sehr günstig. Bis zum 18.1. ereigneten sich lediglich 7 Todesfälle, die zudem mehrheitlich Alleinunfälle waren. Es gab nur 2 Tote mit KFZ-Beteiligung, jedoch keinen einzigen Fall innerorts. Das ist um so beeindruckender, als auch der Januar 2024 in Deutschland einmal mehr relativ mild blieb, so dass die Bedingungen für Aktivitäten im Radverkehr dennoch einigermaßen günstig waren. Lediglich am 12.1. gab es großflächig eine Periode mit Eisregen, wobei auch ein Radfahrer in Dortmund auf Glatteis tödlich stürzte. In der verbleibenden Monatshälfte kam es dann allerdings leider zu einer deutlichen Zunahme der Unfallentwicklung, so dass letztlich der Januar 2024 nur insgesamt mit dem Prädikat „leicht unterdurchschnittlich aktiv“ in die Geschichte eingeht.

Jahresgang2024_monatlich

Es ereigneten sich insgesamt 21 tödliche Unfälle im Januar, wovon 5 durch Alleinsturz, 1 durch Frontalzusammenstoß unter Radfahrern und 1 durch Kollision mit dem Schienenverkehr an einem beschrankten Bahnübergang bedingt waren.

monatstorte

jahresgang2024

Unfälle mit KFZ

Im Januar 2024 gab es 14 neue Todesfälle nach Kollision von Radfahrern mit KFZ, je 7 inner- und außerorts.

kfz2024

Im innerörtlichen Bereich war der Januar entsprechend dem aktuellen Trend damit eher unfallarm. Nach derzeitigem Stand gab es seit 2013 nur zweimal einen Jahresbeginn mit weniger Opfern. Die 7 Opfer außerorts hingegen liegen gleichauf mit dem bislang schlechtesten Januarergebnis aus 2019.
kfz2024_typen

In Übereinstimmung mit der Entwicklung in den bisher beobachteten Jahren seit 2013 ereigneten sich auch in diesem Januar gleich mehrere tödliche Auffahrunfälle durch KFZ. Alle drei Fälle lagen wie gewohnt außerorts und passierten bei Dunkelheit.

RIP Natenom

Für besondere Aufregung sorgte dabei der Fall des unter dem Pseudonym „Natenom“ in sozialen Medien aktiven und nachfolgend auch durch Interwiews in der bundesweiten Presse bekannt gewordenen Bloggers Andreas Mandalka, da er über viele Jahre hinweg über seine Erfahrungen als Fahrbahnradler im ländlichen Raum südlich von Pforzheim berichtet hatte. Die von ihm publizierten Berichte, Clips und Blogeinträge über die Untätigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft ließen erkennen, dass es sich bei den beklagten engen Überholmanövern und Belästigungen ganz überwiegend um Vorsatztaten durch „alte Bekannte“ handelte, zu denen die Täter sich hinreißen ließen, weil sie regelmäßig auf Natenom trafen und sich von seiner Fahrlinie und seinem Erscheinungsbild offensichtlich provoziert fühlten. Natenom vertrat stets die Auffassung, dass Radfahrer außerorts einen möglichst großen Rechtsabstand zum Grünstreifen halten sollten, was einerseits Überholer zur Wahrung größerer Überholabstände animieren würde und ihm andererseits Ausweichreserven in den Fällen verschaffen würde, wo sie dennoch bewusst oder fahrlässig zu nahe vorbeiführen. Ironischerweise handelte es sich beim fatalen Zusammenstoß dann gerade nicht um das von Natenom so gefürchtete und unermüdlich angeprangerte zu enge Überholen, sondern -ganz wie für diese seltenen Tragödien üblich und eindeutig erkennbar am Schadbild der Fahrzeuge bzw. an den Markierungen der Unfallaufnahme auf der Fahrbahn- um ungebremstes Rammen ohne vorherige Reaktion des 77-jährigen Auffahrers – und dementsprechend auch ohne jede Chance für das Opfer, vom vermeintlichen Ausweichraum noch Gebrauch machen zu können. Über Sinn und Unsinn der Strategie von Natenom bzw. der demgegenüber hier im Blog empfohlenen Alternative („bei Nacht und Gegenlicht außerorts scharf am rechten Rand radeln“) habe ich mit Natenom auf Twitter mehrfach ausgiebig debattiert. Er hatte meinen pragmatischen Ansatz stets als „vor der motorisierten Gewalt kapitulieren“ abgelehnt.

Serien

Im Januar 2024 gab es erneut keinen Todesfall durch ein über Radverkehrsanlagen rechtsabbiegendes KFZ. Der letzte derartige Fall datiert aus Mitte Oktober 2023 und geschah mit einem Reisebus beim Hamburger Hauptbahnhof. Der bisher letzte tödliche „Tote-Winkel“-Unfall mit einem LKW über 3,5 t geschah am 26. September 2023, also heute (4.2.2024) vor 131 Tagen. So ein langes Intervall hat es bisher seit Beginn dieses Projekts vor 11 Jahren noch nicht gegeben. Es verdeutlicht, wie sehr sich das Risiko, als Radwegnutzer einem unachtsamen Rechtsabbieger zum Opfer zu fallen in neuerer Zeit, wahrscheinlich durch das Zusammenwirken von immer mehr Abbiegeassistenten im Bestand, Schrittgeschwindkeits-Regel beim Abbiegen nach StVO und die eingebürgerten „Angles Morts“-Warnaufkleber aus Frankreich verringert hat.

Eine weitere Serie soll ebenfalls nicht unerwähnt bleiben: heute (4.2.2024) sind es 69 Tage seit dem letzten tödlichen Unglück zwischen einem fahrenden KFZ und einem Radfahrer in Berlin. Im Jahr 2019 hatte die finnische Hauptstadt Helsinki im ganzen Jahr keine im Straßenverkehr getöteten Fußgänger oder Radfahrer zu verzeichnen. Obwohl auch in 2019 in Helsinki Verkehrsteilnehmer als KFZ-Nutzer starben und diese Leistung auch einmalig blieb und in Helsinki seither nie wiederholt werden konnte, feiert der Hoax „In Helsinki gibt es schon seit Jahren keine Verkehrstoten mehr“ in der Verkehrswende-Szene im Netz immer wieder neu fröhliche Urstände. In Anbetracht der 6x höheren Einwohnerzahl (630.000 vs 3,9 Mio) und des ca. doppelt so großen Fahrrad-Modalsplits in Berlin (8% vs 18%) entspricht die laufende Serie ohne radelndes KFZ-Opfer in Berlin aktuell beachtlichen zwei „Helsinki-Jahren“ (69 x 6 x 2 / 365 = 2,2). Weiter so, Berlin.

Update Dezember 2023

Update der Unfallsteckkarte, Update Calendar-Chart 2023, Stand 3.1.2024.

Unfallentwicklung im Dezember 2023

Im Dezember 2023 gab es insgesamt nur 17 Neueinträge in die Datenbank. Davon entfielen etwa ein Drittel (6) auf Alleinunfälle ohne KFZ-Beteiligung. Vorläufig setzt der Dezember 2023 damit eine neue Bestmarke für den letzten Jahresmonat seit Beginn meiner Erfassung vor 11 Jahren.

Jahresgang2023_monatlich

Tödliche Kollision mit anderen Radfahrern, Fußgängern oder mit dem Schienenverkehr wurden im Dezember nicht gemeldet.

monatstorte

Die Entwicklung in den drei Hauptfeldern verläuft weiterhin nach dem bekannten Muster: starker Rückgang bei Alleinstürzen, rekordverdächtige Anzahl außerörtlicher KFZ-Kollisionen und niedrige Summe innerörtlicher Unfälle mit KFZ-Beteiligung.

jahresgang2023

Zum Jahresabschluss liegt der Verlauf innerorts vorerst noch unterhalb des bisherigen Bestwertes aus dem Jahr 2021. Das wird sich jedoch aufgrund der zu erwartenden Nachmeldungen beim Abgleich mit den im kommenden Sommer publizierten OpenData aus dem Unfallatlas-Portal von Destatis wahrscheinlich ändern. Insgesamt setzt sich der in den letzten Jahren beobachtete Trend zur Verlagerung der schweren Fahrradunfälle nach außerorts weiter fort.

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Unfälle mit KFZ

Im Dezember 2023 gab es wie im November nur 11 neue Todesfälle nach Kollision von Radfahrern mit KFZ. Innerorts stellt das Ergebnis von 4 Fällen einen neuen Bestwert der Erfassung dar.

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Im Dezember gab es kein neues Opfer durch ein rechtsabbiegendes KFZ. Es wurden jedoch erneut drei tödliche Auffahrunfälle vermeldet. Alle Fälle fanden bei Verkehrsstille und entsprechend der Jahreszeit bei schwierigen Lichtbedingungen (frontal tiefstehende Sonne, fortgeschrittene Dämmerung oder Dunkelheit) statt. Im bisher einzigen „Ü“-Typ Unfall in 2023 innerorts rammte eine Autofahrerin auf einer dörflichen Nebenstraße in Sachsen-Anhalt einen vor ihr fahrenden Radler, während beide entgegen der nur wenige Grad über dem Horizont stehenden untergehenden Sonne fuhren.

Kinderunfälle 2023

Fünf radfahrende Kinder kamen in 2023 ums Leben

Im vergangenen Jahr 2023 wurde über nur 5 tödliche Fahrradunfälle mit Kindern unter 15 Jahren in den deutschen Medien berichtet. Dies ist 1 weniger als im Vorjahr 2022 und sogar 16 weniger als 2018, als es noch insgesamt 21 getötete Kinder gab. Das Durchschnittsalter lag bei 10 Jahren. Wie gewohnt überwiegt der Anteil der Jungen bei den Opfern (4 von 5).

Kein einziges radfahrendes Kind starb in 2023 außerorts, ebenso gab es kein einziges radelndes Opfer unter 15 Jahren in den 81 deutschen Großstädten. Im Jahr 2023 haben damit nicht nur alle Großstädte, sondern auch 12 der 16 Bundesländer „Kinder-Fahrrad-Visionzero“ erreicht, weil es keinen tödlichen Fahrradunfall mit Kindern in diesen Ländern gab. 3 der Kinder verunglückten in Dörfern mit weniger als 3000 Einwohnern, 2 Kinder starben in den Mittelstädten Emden und Pulheim. Alle Kinder kamen bei Kollisionen mit KFZ ums Leben.

  • 1 Junge (14) starb in Emden, nachdem er mit dem Lenker mit einem anderen radelnden Kind im Gegenverkehr auf einem baustellenbedingt verengten linken Zweirichtungsradweg zusammengestoßen war und dadurch nach rechts auf die Fahrbahn gegen einen in diesem Augenblick entgegenkommenden LKW stürzte.
  • 1 Junge (10) wurde in Pulheim durch einen rechtsabbiegenden LKW getötet, als er neben dem LKW von einem Schutzstreifen geradeaus über die Kreuzung fuhr. In der Straße galt Tempo 30.
  • 1 Mädchen (8) starb im Zuge einer Fahrbahnquerung, als es in Bergneustadt-Wiedenest gemeinsam mit einer Freundin vom Radweg aus die Straßenseite wechseln wollte und dabei einen heranfahrenden Kleintransporter übersehen hatte.
  • 1 Junge (8) starb in Parkstein, als ihm in einer Tempo-30-Zone an einer rechts-vor-links Kreuzung von einem Busfahrer die Vorfahrt genommen wurde
  • 1 Junge (10) starb im sächsischen Cravetitz, als er aus einer Grundstückszufahrt kommend nach links in die Fahrbahn einfuhr und dabei am Fahrbahnrand vom PKW einer Autofahrerin erfasst wurde, die offenbar wegen der bereits am linken Straßenrand gegenüber der Einfahrt wartenden Geschwister/Freunde des Opfers nach rechts gezogen hatte. Dies ist der einzige Fall in Deutschland im Jahr 2023, bei dem ein PKW am Tod eines radfahrenden Kindes beteiligt war.

Mussten in 2023 Kinder sterben, weil sie mangels baulicher Fahrradinfrastruktur von hinten angefahren wurden?

Im gesamten Jahr wurde kein einziges Kind durch ein Kraftfahrzeug im Längsverkehr so schwer verletzt, dass es starb.

Update November 2023

Update der Unfallsteckkarte, Update Calendar-Chart 2023, Stand 2.12.2023.

Unfallentwicklung im November 2023

Im November 2023 gab es insgesamt 23 Neueinträge in die Datenbank. Davon entfielen gut die Hälfte (12) auf Unfälle ohne KFZ-Beteiligung. Insgesamt folgt der Jahresverlauf vorläufig ohne größere Ausschläge dem Gang der bisherigen Monatsmittelwerte für 2013-2022; mit in der Tendenz allerdings leicht unterdurchschnittlichem Ergebnis.

Jahresgang2023_monatlich Neben 10 Alleinstürzen gab es im November 2023 zwei Todesfälle unter Radfahrern zu verzeichnen. Tödliche Kollision mit Fußgängern oder mit dem Schienenverkehr wurden im November hingegen nicht gemeldet.

monatstorte

Die Entwicklung in den drei Hauptfeldern verläuft weiterhin nach dem bekannten Muster: starker Rückgang bei Alleinstürzen, rekordverdächtige Anzahl außerörtlicher KFZ-Kollisionen und niedrige Summe innerörtlicher Unfälle mit KFZ-Beteiligung.   

jahresgang2023

Unfälle mit KFZ

Im November 2023 gab es nur 11 neue Todesfälle nach Kollision von Radfahrern mit KFZ. Insbesondere im Vergleich zum Vorjahr mit 28 KFZ-Opfern ist das ein erheblicher Rückgang. Innerorts stellt das Ergebnis von 5 Fällen einen neuen Bestwert der Erfassung dar.

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Häufigstes Szenario war wie gewohnt ein Vorfahrtfehler auf Seiten des Radfahrers (4x). Im einzigen Todesfall nach Vorfahrtverletzung durch den beteiligten KFZ-Führer benutzte der getötete Radfahrer den benutzungspflichtigen linken Radweg. Es gab im November keinen Todesfall mit rechtsabbiegenden LKW, jedoch wurde am 18.11. ein Radfahrer am Hamburger Hauptbahnhof durch einen unachtsam über den Radweg rechtsabbiegenden Busfahrer tödlich verletzt. Drei Opfer von außerörtlichen Auffahrunfällen wurden im November gemeldet. Alle Fälle fanden bei Verkehrsstille und entsprechend der Jahreszeit bei Dunkelheit statt. 

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Prognose 2023

Unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen mit der Anzahl Nachmeldungen, die beim Abgleich der Meldungen aus der Tagespresse in der eigenen Datenbank mit dem Opendata-Bestand im Destatis Unfallatlas in den letzten Jahren erfasst werden musste, zeichnet sich für das gesamte Jahr 2023 ein im Vergleich zum unfallträchtigen Vorjahr deutlicher Rückgang der Fahrradtodesfälle ab. Nach 474 Opfern in 2022 dürfte die Gesamtzahl im Bereich des Lockdown-Jahres 2020 liegen (ca. 425). Damit würde der Großteil des insgesamt 2,1% betragenden Verkehrsopfer-Rückganges um ca. 60 Fälle, den der ADAC in seiner traditionellen Prognose von Anfang November vorhergesagt hat, auf der günstigen Entwicklung im Radverkehr beruhen, während die anderen Verkehrsarten wenig dazu beitragen konnten.

radunfaelle1954-2022