Die Top 9 der häufigsten Unfalltypen bei tödlichen Fahrradunfällen

Nach zehn Jahren und drei Monaten Unfallerfassung sind mittlerweile 4560 Ereignisse zusammengetragen worden, bei denen Personen mit Fahrrad ums Leben kamen. Das ist Anlass genug für eine Präsentation der am häufigsten dabei vorkommenden Hergänge. Zum Zwecke der besseren Übersichtlichkeit mittels grafischer Darstellung in einer (3×3-)Tabelle habe ich mich dabei auf die „Top 9“ beschränkt.

Die Auswertung präsentiert bewusst nur die Hergänge („wer kam wem von wo?“) und keine nach Verkehrsart sortierten Ursachen, da ich der Ansicht bin, dass die  Verursacher-Betrachtung sicherheitstechnisch wenig hilfreich ist. Niemand wird durch das Prinzip seines Verkehrsmittelantriebs vom Dr. Jekyll zum Mr. Hyde (oder umgekehrt…). Die Schuldzuweisung leistet lediglich dem allseits beliebten spaltenden Fingerpointing unter den Verkehrsteilnehmergruppen Vorschub, ohne tiefere Einblicke in die im Verkehrsablauf liegenden wahren Gründe für das jeweilige Fehlverhalten zu ermöglichen. Übrigens ist die unsinnige penible Analyse der nach Verkehrsarten sortierten Schuldverteilung eine auf das deutsche Verkehrsunfallstatistikgesetz zurückgehende deutsche Besonderheit, die es so weltweit nirgendwo sonst gibt.

Bei meiner vorliegenden Auswertung habe ich mich grundsätzlich an den dreistelligen Unfalltyp-Schlüsseln orientiert, wie sie die UDV als Erweiterung der 7 Grundtypen der amtlichen Unfallstatistik vorschlägt. Bei eng verwandten Fahrmanövern habe ich hier jedoch mehrere dieser Subschlüssel zusammengefasst, u.a., um eine allzu breite Streuung zu vermeiden, die sonst zu jeweils sehr kleinen Fallzahlen führen würde. Dies betrifft insbesondere den Problemkreis „Linksabbiegen“, bei dem ich hier nur im „Kleingedruckten“ danach differenziere, ob es das beteiligte KFZ war, das links abbog, oder ob der tödlich verunglückte Radfahrer seine bisherige Fahrtrichtung nach links verlagern wollte. Wer mehr über die Verteilung der Subtypen bei tödlichen Linksabbiegerunfällen und die Rolle von Radverkehrsanlagen dabei erfahren möchte, kann sich dazu im Beitrag „Analyse Linksabbieger-Unfälle“ informieren.

Die folgenden Abbildungen zeigen das Ergebnis der aktuellen Auszählung, aufgegliedert nach den häufigsten 9 Unfalltypen(-gruppen), jeweils für inner- und außerorts:

top9innerorts

top9ausserorts

Echter Alleinsturz oder unentdeckte Fahrerflucht?

Auffällig ist, dass bei beiden Ortslagen die tödlichen Alleinstürze das Unfallgeschehen stark dominieren. Dies deckt sich auch mit den jährlich von Destatis publizierten Angaben, die regelmäßig 25-30% der Gesamtopfer Stürzen ohne weitere Beteiligte zuschreiben. Mein Ergebnis liegt dabei stets über dem Wert von Destatis, was darauf zurückzuführen ist, dass meine Erfassung anders als die amtliche Statistik mangels Kenntnis der Autopsieergebnisse nicht um Fälle bereinigt werden kann, bei denen der Tod nicht auf den Sturz zurückzuführen war.

Als ich die beiden Abbildungen auf Twitter vorgestellt habe, kam postwendend und mehrfach der Einwand, es handele sich ja wohl überwiegend nicht um Alleinstürze, sondern vielmehr um unentdeckte (oder, schlimmer noch, von der „Autopolizei“ gedeckte…) Fälle von Engüberholen durch fahrerflüchtige KFZ-Führer.

Fünf Gründe sprechen jedoch eindeutig dafür, dass die Alleinstürze in der Unfallstatistik tatsächlich Alleinstürze und keine durch die Polizei übersehenen oder gedeckten Fälle von Fahrerflucht sind.

  • Tödliche Alleinstürze geschehen nicht selten vor Zeugen. Kein mir bekannter tödlicher Alleinsturz vor Zeugen beruhte jedoch auf Schreck/Luftzug infolge eines Überholvorgangs. Es ist unplausibel, dass durch Engüberholer provozierten fatale Alleinstürze zuverlässig immer nur dann passieren sollten, wenn zufällig niemand anderes hinguckt.
  • Es gibt zwar viele Beschwerden über Engüberholer, aber nur recht selten Berichte über Alleinstürze, die durch Engüberholen provoziert wurden. Wenn es dazu kommt, dann enden diese Stürze -wie angesichts des fehlenden Kontakts zum schnellen KFZ zu erwarten- wiederum relativ glimpflich. Fälle, in denen das Opfer einen solchen provozierten Sturz schwer verletzt überlebte, sind mir bei der jahrelangen täglichen Durchsicht der Unfallmeldungen nicht aufgefallen. Es ist unplausibel, dass die Opfer von Engüberholern entweder gar nicht zu Fall kommen bzw. nur leicht stürzen, oder andernfalls -trotz fehlendem Kontakt zum KFZ- dann gleich zu quasi 100% so unglücklich fallen sollten, dass sie dadurch zuverlässig sterben.
  • Opfer von tödlichen Alleinstürzen ohne direkte Zeugen werden vorwiegend innerorts in verkehrsarmen Nebenstraßen oder auf Strecken, wo der Verkehr mit KFZ verboten ist, aufgefunden (selbständige Radwege, Rad- und Gehwege neben der Fahrbahn, Waldwege, Grünanlagen). Es besteht zwar die Möglichkeit, dass dort auch gelegentlich Konflikte mit einzelnen KFZ auftreten könnten, jedoch ist es angesichts der dann wiederum zumeist eher mäßigen KFZ-Geschwindigkeiten sehr unplausibel, dass diese Konflikte ganz ohne Berührung zum Sturz führen. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass diese berührungslos provozierten Stürze -wie auch im vorangegangenen Punkt erläutert- anschließend überaus zuverlässig mit dem Ableben des Radfahrers enden sollten.
  • In den Niederlanden passieren normiert auf die Summe der jährlich von allen Einwohnern geradelten Personenkilometer mehr tödliche Alleinunfälle als in Deutschland. Das berechnete Risiko für einen tödlichen Alleinsturz beträgt in NL in den letzten 5 Jahren im Mittel ca. 6 Tote/Mrd km, während es in Deutschland in diesem Intervall nur bei ungefähr der Hälfte davon liegt (ca. 3/Mrd km). Es ist unplausibel, dass das Risiko eines Schreck-/Luftzug-Todessturzes in NL, wo die Menschen weit häufiger als in D mit dem Fahrrad nicht auf der Fahrbahn unterwegs sind, höher sein sollte als in D. Ebenso ist unplausibel, dass ausgerechnet im Fahrradland NL die Menschen auf der vermeintlich guten Infrastruktur öfter von alleine fatal stürzen sollten als in D, wo die Menschen eher unerfahrene Radler sind, während umgekehrt die unerfahrenen Deutschen trotz mangelhafter Infrastruktur zwar grundsätzlich viel sicherer im Sattel sitzen sollten als ihre versierteren Nachbarn, sich aber dennoch viel häufiger durch Engüberholer zu tödlichen Stürzen ohne vorherigen Kontakt provozieren lassen.
  • Die Opfer von tödlichen Alleinstürzen sind zu ca. 90% Männer. In Deutschland beträgt die Frauenquote unter den Radfahrern knapp 50%. Es ist unplausibel, dass Frauen nicht mit mindestens ihrem eigenen Verkehrsanteil unter den Opfern zu finden sein sollten, wenn Sturz durch Schreck/Luftzug ohne Kontakt mit dem KFZ eine signifikante Rolle spielen würde.

4 Gedanken zu „Die Top 9 der häufigsten Unfalltypen bei tödlichen Fahrradunfällen

  1. Markus Koßmann

    Laut der polizeilichen Unfallstatistik 2021 ( S. 103) ist der Anteil der tödlichen Alleinunfälle bei Motorradfahrern ( mit amtl. Kennzeichen) noch deutlich höher. Da wurden 153 Alleinunfälle bei insgesamt 325 tödlichen Unfällen (47%) gezählt. Da Motorradfahrer aber eher weniger überholt werden spricht das auch dafür das Alleinunfälle bei Zweirädern nicht verdeckte Überholunfälle sind

    Gefällt 1 Person

    Antwort
  2. Pingback: Wochenrückblick KW 21/2023 – MartinTriker

  3. Pingback: Update Mai 2023 | Radfahren-Das überschätzte Risiko von hinten

  4. Pingback: Risiko von Radfahrern an deutschen Kreisverkehren | Radfahren-Das überschätzte Risiko von hinten

Hinterlasse einen Kommentar